DER POLLO – DIE MUSEUMSEISENBAHN IN DER PRIGNITZ (Teil 1)

Der Artikel erschien erstmalig im SchmalspurInfo 2/2016

Die Arge-Schmalspur war das erste Mal vom 04. bis 06.10.2007 mit ihrer Expo in der Prignitz zu Gast. Damals wurde im Info Nr. 2; 3 und 4 von 2007 von Ulrich Thorhauer und Peter Höhn ausführlich über die Museumseisenbahn, ihre Fahrzeuge und die Expo berichtet. Es kann deshalb vorkommen, dass damals erwähnte Fakten sich in der diesjährigen Beitragsserie wiederholen. Sie sind aber auch deshalb nicht ausgelassen worden, um Zusammenhänge nicht in einem anderen Bezug erscheinen zu lassen.

Im hier erscheinenden 1. Teil werden vorrangig die geschichtliche Entwicklung bis 1971, die Situation nach der deutschen Wiedervereinigung, die Museumsgründung und der begonnene Wideraufbau beleuchtet.

Das ehemalige Prignitzer Schmalspurnetz

Die erste die Prignitz berührende Eisenbahnstrecke war die 1846 eröffnete Verbindung von Berlin nach Hamburg über Wittenberge. Von dieser Strecke aus entstanden weitere Bahnlinien: Wittenberge – Lenzen im Jahre 1873, Wittenberge – Perleberg 1881, Perleberg – Pritzwalk – Wittstock 1885, Neustadt (Dosse) – Pritzwalk 1887 und Glöwen – Havelberg 1890. Damit war ein Grundstock an Eisenbahnstrecken gelegt, die durch die Verbindung der größten Städte der Prignitz auch eine gewisse Rentabilität erwarten ließen. Auf der anderen Seite befürchteten nun die Landstriche ohne Eisenbahnanschluss, immer mehr ins wirtschaftliche Hintertreffen zu geraten. Erst mit dem „Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlussbahnen“, das am 28. Juli 1892 in Preußen in Kraft gesetzt worden ist, begann ein erneuter Bauboom bei den Gemeinden und privaten Geldgebern. So entstand 1896 die normalspurige Strecke von Pritzwalk nach Putlitz. Den ländlichen Raum zwischen den Städten Perleberg, Pritzwalk und Kyritz begann man nun mit Schmalspurstrecken in 750 mm Spurweite zu erschließen. Bauherr waren die Kreise Ost- und Westprignitz. Als erste war am 15.10.1897 die 47,3 km lange Verbindung von Perleberg über Lindenberg nach Kyritz – mit der 10,6 km langen Abzweigung von Rehfeld Abzweig nach Breddin – fertiggestellt. Ihr folgte am 15.7.1900 die 15,2 km lange Strecke von Viesecke über Kreuzweg nach Glöwen. Die nächste Eisenbahnstrecke führte von Lindenberg nach Pritzwalk und hatte eine Länge von 18,7 km. Vom Herbst 1907 bis Sommer 1908 erfolgte hier die Eröffnung in mehreren Abschnitten. Die 10,2 km lange Strecke von Lindenberg nach Kreuzweg, eröffnet am 2.7.1912, komplettierte das Netz der Prignitzer Schmalspurbahnen. So war innerhalb von 15 Jahren ein 102 km langes schmalspuriges Streckennetz entstanden, das einerseits der Landbevölkerung eine Reisemöglichkeit in die Städte bot und andererseits dem An- und Abtransport der Güter diente. Die Wirren des 2. Weltkrieges hat der „Pollo“, wie die Kleinbahn im Volksmund genannt worden ist, nicht unbeschadet, aber doch glimpflich überstanden. Die Verbindung zwischen Viesecke und Kreuzweg ist nach 1945 abgebaut worden. Die Schienen kamen für den Wiederaufbau der normalspurigen Verbindung von Glöwen nach Havelberg – nun als Schmalspurbahn – wieder zum Einsatz. Ab 1960 waren das Streckennetz und auch die Fahrzeuge derart verschlissen, so dass nur eine umfassende Modernisierung Abhilfe geschaffen hätte. Dies unterblieb und man begann, das Netz abschnittweise stillzulegen. Am 31.12.1967 verkehrte der letzte Zug zwischen Lindenberg und Glöwen, am 31.5.1969 zwischen Perleberg und Kyritz, Kyritz und Breddin sowie Lindenberg und Pritzwalk. Am 26.9.1971 war dann auch auf der Strecke Glöwen – Havelberg Schluss.

Der Wiederaufbau –

Ein Verein erweckt den „Pollo“ zu neuem Leben

Die Ausgangslage 1992Drei gut besetzte Sonderzüge fuhren am 1. Juni 1969 nach Lindenberg, um ein Kapitel Verkehrsgeschichte in der Prignitz für immer zu beenden. Es hieß Abschiednehmen vom Pollo, einer Schmalspurbahn, welche die Prignitzer in ihr Herz geschlossen hatten. Nach 71 Jahren nagte der Zahn der Zeit an der Trasse und den Fahrzeugen – von nun an sollten Busse und Lkw die Transportaufgaben für Personen und Waren übernehmen. Die Deutsche Reichsbahn verschrottete die Gleise, Loks und viele Wagen und es erinnerte bald fast nichts mehr an das einst über 100 Kilometer umfassende Streckennetz. Selbst die Bahnbauten der Kleinbahnen verschwanden nach und nach aus dem Landschaftsbild. Lediglich zahlreiche gedeckte Wagen wurden an interessierte Anwohner zur weiteren Verwendung verkauft. Geplant war, nur die Wagenkästen zu veräußern, weil mit den Radsätzen und Kupplungen das Schrottaufkommen erfüllt werden sollte. Da sich aber die Wagen mit Rädern besser transportieren ließen, hängten sich die neuen Eigentümer ihre Wagen einfach an eine Zugmaschine und zogen sie auf der Straße auf ihre Grundstücke. Auch der ehemalige Lindenberger Stationsvorsteher, welcher im einstigen Eisenbahnerwohnhaus lebte, sicherte sich zwei Wagen, um sie als Hühnerstall bzw. Schuppen zu nutzen. Nachdem er verstarb, erbte der neue Grundstücksbesitzer auch diese „Altlast“. Aufgrund anstehender Veränderungen auf dem Grundstück sollten die Wagen ihren seit 23 Jahren angestammten Platz verlassen. Inzwischen wurde auch der Autor auf diese beiden Zweiachser aufmerksam und es ergaben sich erste Kontakte mit dem Besitzer. Es entstand die Idee, in ihnen nach ihrer Restauration eine kleine Ausstellung zur ehemaligen Bahn einzurichten. Zur Bergung mussten sie allerdings erst ausgegraben und angehoben werden. Obwohl teils nur noch der Aufbau aus dem Boden ragte wurde festgestellt, dass der Erhaltungszustand besser als erwartet war, und selbst die Achsen ließen sich nach über 20 Jahren noch ohne große Mühe bewegen. (Bild 201)

Die ersten Meter Gleis

Für die Aufstellung der Wagen war ein Ausstellungsgleis vorgesehen worden. Von den ehemaligen umfangreichen Gleisanlagen in Lindenberg waren zu dieser Zeit nur noch ein kleiner Rest vor der Gaststätte Kieckbach und die Straßenquerung aus Richtung Pritzwalk vorhanden; also ungeeignet. Vor dem Grundstück des ehemaligen Beamtenwohnhauses verlief einst die Strecke nach Glöwen. Hier wurde ein passender Ort für die Errichtung des seinerzeit geplanten „kleinen Museums“ gefunden. Es mussten zunächst erst einmal einige Schwellen und Schienen beschafft werden, dann wurde ein elf Meter langes Gleis verlegt. Im September 1992 konnten der Gepäckwagen 975-312 und der Güterwagen 97-51-57 aus dem Garten dorthin umgesetzt werden. (Bild 801) 

Anwohner beobachteten die Aktivitäten, und bald stellte sich heraus, dass es in Lindenberg auch noch weitere erhaltene Wagen gab, darunter sogar einen originalen Prignitzer Personenwagen. Nach und nach wurden insgesamt noch fünf weitere gedeckte Güterwagen und der vierachsige Personenwagen 970-864, welcher als Hühnerstall sein Dasein fristete, von den Lindenbergern zur Verfügung gestellt. (Bild 800) Hiervon wurde der zweiachsige Güterwagen 97-52-71 als erstes geborgen und dann zu den beiden vorhandenen Wagen gestellt. Ihm folgte im März 1993 der Personenwagen. (Bild 804) 

Bei der nun anstehenden Aufarbeitung wurde sich zuerst für die drei Güterwagen entschieden, da der schlechte Zustand des Personenwagens und die damit verbundenen enormen Aufwendungen vorerst nicht zu bewerkstelligen waren. Die Arbeiten erwiesen sich jedoch selbst bei den Güterwagen sehr bald als wesentlich aufwendiger als zunächst angenommen. (Bild 01804)

Nachdem im Frühjahr 1993 mehrere lokale Zeitungen über die Aktivitäten in Lindenberg berichteten, meldeten sich weitere Eisenbahnfreunde und boten ihre Hilfe an. Am 5. Juni 1993 wurde daraufhin der Verein ,,Prignitzer Kleinbahnmuseum Lindenberg e.V.“ gegründet. (Bild 001) 

Erste Vereinsarbeitseinsätze an den Fahrzeugen brachten jetzt sichtbare Fortschritte, und die Mitglieder entschlossen sich, 1994 den 25. Jahrestag der Betriebseinstellung zum Anlass zu nehmen, die ersten aufgearbeiteten Wagen und eine kleine Ausstellung darin einem größeren Publikum zu präsentieren. Neben der Suche nach weiteren Wagen bemühten sich die Mitglieder auch um eine passende Lokomotive, damit ein richtiger Zug auf das Museumsgleis gestellt werden konnte. Von den vier noch vorhandenen Dampflokomotiven, die einst beim Pollo fuhren, waren 1993 drei in Privateigentum und eine gehörte noch der Deutschen Reichsbahn. Die Dampflok 99 4644 stand seit 1977, zusammen mit drei Schmalspurwagen, im Bahnbetriebswerk in Neustrelitz. Da die Reichsbahn schon mehrere Lokomotiven an Vereine verkauft hatte, stellte der Verein 1993 einen Kaufantrag an die Reichsbahndirektion in Schwerin. Dort gab man das Gesuch zuständigkeitshalber an die Hauptverwaltung in Berlin weiter. Der Verein erhielt die Mitteilung, man würde zu gegebener Zeit eine Entscheidung treffen. Überraschend kam dann im Dezember 1993 die Information von anderen Eisenbahnfreunden aus dem Land, dass die Lok 99 4644 trotz unseres Kaufantrages nach Radevormwald verschenkt werden sollte, um als Erinnerung an ein dortiges Eisenbahnunglück aufgestellt zu werden. In mehreren lokalen Zeitungen wurde über diese geplante Transaktion berichtet. Verärgert über eine solche Handlungsweise wandten sich die Eisenbahner des Vereines an regionale und überregionale Zeitungen, mit zunächst nicht erwartetem Erfolg: Am 19.04.1994 konnte der Verein von der neu gegründeten Deutschen Bahn AG sowohl die Lok als auch die Wagen in Neustrelitz kaufen! Für die geplante Aufstellung der Dampflok wurde nun das Ausstellungsgleis in Lindenberg verlängert bzw. nochmals neu gebaut. Weiterhin, angeregt durch den Wiederaufbau der Preßnitztalbahn im Erzgebirge, wurde jetzt auch ein perspektivisches Konzept zum Wiederaufbau eines Teilstückes der Strecke als Museumseisenbahn geprüft. Hieraus ergab sich, dass die bestehende Infrastruktur des Abschnittes Lindenberg – Pritzwalk hierfür geeignet wäre. Dafür wurde ein Konzept erarbeitet. Die Anliegerkommunen unterstützten das Vorhaben und stellten die Flurstücke der ehemaligen Kleinbahntrasse zur Verfügung. 

Der Wiederaufbau beginnt 

Ab 16.11.1993 wurde durch ABM-Kräfte der Bahndamm von Vettin bis Mesendorf vom Wildbewuchs befreit. Das ehemalige Bahnhofsareal in Mesendorf konnte der Verein für die Lagerung von ersten Gleisbaumaterialien nutzen und bereits im Frühjahr 1994 lagen dort die ersten Meter Gleis für die Abstellung von Fahrzeugen. (Bilder 02104 und 03301) 

Der Bestand des Museums konnte im April 1994 durch die beiden Rollfahrzeuge 97-03-49 und 97-08-49 erweitert werden. Am 25.05.1994 wurde in Neustrelitz dann die Dampflok 99 4644 verladen und nach Lindenberg transportiert. (Bild 01301) 

Hier wurde die Ankunft der Lok durch Vereinsmitglieder und Lindenberger Bürger gebührend gefeiert. Rechtzeitig zur anstehenden Eröffnung des Kleinbahnmuseums war die Aufarbeitung der ersten Wagen zur Aufstellung auf dem neuen Museumsgleis beendet worden. (Bild 02004)

Eröffnung des Prignitzer Kleinbahnmuseums in Lindenberg 

Genau ein Jahr nach Gründung des Vereines wurde am 04.06.1994 das „Kleinbahnmuseum“ in Lindenberg feierlich eröffnet. Mehr als 2000 Besucher nutzten die Möglichkeit, die erst wenige Tage vorher in die Prignitz zurückgekehrte Schmalspurdampflok und die restaurierten Wagen zu besichtigen. Eine erste Ausstellung über die Prignitzer Schmalspurbahnen konnte in einem der aus Neustrelitz erworbenen Personenwagen gezeigt werden. Interessant war auch, wie sich anlässlich dieser Veranstaltung einst bei der Kleinbahn angestellte Eisenbahner in Lindenberg wiedertrafen und ihre Freude über das kleine Museum zum Ausdruck brachten. (Bild 01503)

Im Jahre 1995 konnte dann ein Lagerschuppen, welcher das letzte noch originale Gebäude des einstigen Bahnhofs Lindenberg ist, zur Nutzung übernommen werden. (Bilder 01101 und 01102) 

Damit war die Voraussetzung für eine umfangreichere Präsentation zwar vorhanden, doch mussten die Räume für einen Besucherverkehr noch hergerichtet werden. Dank der Unterstützung durch örtliche Firmen konnte zunächst die obere Etage in mehreren Arbeitseinsätzen ausgebaut werden. (Bilder 00901 und 00902) 

Im Frühjahr 1996 wurde die Ausstellung über den „Pollo“, wie die Kleinbahn im Volksmund heißt, dann im neuen Museumsgebäude eröffnet. Neben Schautafeln und einem Modell des ehemaligen Lindenberger Bahnhofs war auch eine Gleisbauausstellung mit historischen Werkzeugen zu besichtigen. Der untere Bereich des Gebäudes wurde zunächst als Werkstatt und Unterstellmöglichkeit für die zwischenzeitlich aus Kyritz übernommene 500-mm-Feldbahn genutzt. (Bild 01302) 

Da es zum damaligen Zeitpunkt noch keinen Fahrbetrieb auf der Museumsbahn gab, war und ist die Feldbahn besonders bei den jüngeren Besuchern sehr beliebt. (Bild 01403)

Autoren: Detlef Radke, Ronald Meißner

Bearbeitung: Lutz Friedrich

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